Yoga und Stress: Entspannung bewusst einladen
Ruhelosigkeit, Rückenschmerzen, Gereiztheit, Überforderung: Stress kann sich auf unterschiedliche Art und Weise bemerkbar machen. Wir alle kennen ihn. Und auch wenn er einen ziemlich schlechten Ruf hat, ist er generell ein wirklich cleverer Mechanismus unseres Körpers, uns auf herausfordernde Situationen einzustellen.
Aber Dauerstress macht krank und unglücklich – und wir leben in einer dauergestressten Gesellschaft. Langfristig kann eine Daueranspannung in Depressionen, Angstzuständen oder Herz-Kreislauferkrankungen enden; oder in einem Rückzug aus dieser schönen Welt. Doch wenn wir verstehen, was im Körper passiert, wenn wir uns gestresst fühlen, können wir wieder zurück in unsere Mitte finden, zurück zu einem gesunden Stresslevel.
Eine ganzheitliche Yogapraxis, die Asanas, Pranayama, Meditation und das Beleuchten der eigenen Verhaltensmuster und der Lebensweise einschließt, bringt dich dorthin. Yoga wirkt auf so vielen Ebenen und Stress ist ein komplexes Thema. Stressmechanismen zu verstehen eine Grundlage, um ihm entgegenzuwirken. Yoga kann dein Art sein, dich in stressigen Situationen aus dem „Alarmzustand“ in deine Form der Ruhe zurück zu holen. Durch eine positive mentale Ausrichtung kann sogar dein Stressempfinden verringert werden. Aber was ist Stress überhaupt?
Was ist Stress?
Der Begriff „Stress“ bezeichnet eine physische oder psychische Reaktion des Menschen, ausgelöst durch äußere oder innere Reize. Die Stressantwort ist im Kontext der menschlichen Evolution betrachtet ein cleverer Mechanismus unseres Körpers. Früher waren die Menschen darauf angewiesen, dass der Körper innerhalb kürzester Zeit auf Hochspannung und volle Konzentration hochfährt, wenn im Außen eine Bedrohung lauert, wie zum Beispiel ein wildes Tier, das angreift. Der „Kampf oder Flucht“ Reflex setzt ein, der die Kapazitäten des Körpers in Sekundenschnelle mobilisiert, um das Überleben zu sichern.
Hier spielt das vegetative Nervensystem eine zentrale Rolle. Es steuert viele lebensnotwendige Prozesse im Körper, darunter die Atmung, die Verdauung, den Herzschlag und den Stoffwechsel und ist damit eine wichtige Schaltzentrale. Es lässt sich in die drei Bereiche Sympathikus, Parasympathikus und das Eingeweidenervensystem aufteilen.
Das Spiel von Sympathikus und Parasympathikus
Der Sympathikus sorgt in einer Stresssituation dafür, dass sich die Muskeln anspannen, sich die Herzfrequenz erhöht, der Blutdruck und die Atemfrequenz steigen. Die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet (die durch körperliche Aktivität reguliert werden können). Ist die Gefahr gebannt, fährt das System dann von allein wieder runter.
Heute müssen sich die wenigsten von uns Sorgen über Angriffe von wilden Tieren machen. Aber unsere Stressantwort wird durch Termindruck, Informationsüberflutung, Negativschlagzeilen, unrealistische Erwartungshaltungen an uns selbst und Leistungsdruck von außen dauerstimuliert, wodurch die Stresshormone ausgeschüttet werden, die langfristig das Immunsystem schwächen. Oft werden auch Ruhephasen nicht mehr bewusst eingeplant.
Der Gegenspieler des Sympathikus ist der Parasympathikus. Wird dieser Bereich des Nervensystems stimuliert, entspannen sich die Muskeln, die Atmung und der Herzschlag verlangsamen sich; er sorgt für Ruhe und Regeneration. Bei Menschen, die unter chronischem Stress leiden, ist das Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus aus der Balance geraten und es kommt zu einem Dauerfeuer des Sympathikus. Dann wird Stress zur Bedrohung – wenn er nicht mehr kompensiert werden kann.
Das vegetative Nervensystem und Yoga
Die Nervenbahnen von Sympathikus und Parasympathikus führen vom Gehirn und vom Rückenmark (dem zentralen Nervensystem) aus entlang einer bestimmten Route zu den Organen. Durch die Arbeit mit bestimmten Körperregionen – zum Beispiel dem Nacken – kann der Parasympathikus aktiviert werden, was körperliche und geistige Ruhe begünstigt.
Der wichtigste Nerv des Parasympathikus ist dabei der Nervus Vagus, der sich vom Gehirn aus hinunter über den Hals zum Brustraum und bis hinein in den Bauchraum erstreckt. Durch Yogahaltungen wie den Fisch (Matsyasana), den Schulterstand (Sarvangasana) oder den Löwen (Simhasana) – wenn dabei bewusst die Achtsamkeit in den Nacken- und Kehlbereich gelenkt wird –, wird der Vagus stimuliert.
Generell sind es bei den Asanas vor allem die Vorbeugen, die in Körper und Geist für Ruhe sorgen, besonders dann, wenn sie länger gehalten werden, damit die Muskeln auch wirklich weich werden können. In einer Haltung wie der sitzenden Vorbeuge (Paschimottanasana) können wir bewusst Stille einladen, uns eine Pause vom ständigen Tun gönnen, den Atem zur Ruhe kommen lassen und die Batterien wieder aufladen.
Diese Achtsamkeit, die wir auf der Yogamatte kultivieren, ist ein wichtiger Schlüssel auf dem Weg zurück in unsere Mitte – auch im Alltag. Hier wächst in uns das Vermögen, später in einer Stresssituation wahrnehmen zu können, was passiert, zum Beispiel starkes Herzklopfen. Wir können lernen, so eine Reaktion unseres Körpers nicht als „negativ“ zu verurteilen, sondern einfach als hilfreichen Mechanismus, der uns zeigt, was sich in uns bewegt. Meditation schult uns, negative Gedankenschleifen zu identifizieren und geduldig aufzulösen. Das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Punkt: Stress ist zu einem großen Teil eine Frage der Perspektive.
Stress ist Ansichtssache
Wir werden immer wieder vor herausfordernde Situationen gestellt, und wir könnten geneigt sein unser Leben so zu gestalten, dass wir Belastungen von vornherein aus dem Weg gehen. Aber das ist zum einen nicht wirklich die Lösung und zum anderen ist es nicht möglich, allem Stress auszuweichen. Es geht vielmehr darum, sich innerlich auszurichten und zu trainieren, mit Herausforderungen im Außen konstruktiv umzugehen. Sich bewusst in Stresssituationen wahrzunehmen ist der erste Schritt, um Gelassenheit zu entwickeln.
Denn Stress ist im wahrsten Sinne „Ansichtssache“. Ein und dieselbe Situation kann den einen Menschen unglaublich stressen, Wut oder Resignation auslösen, körperliche Reaktionen hervorrufen oder für Tage in eine Gedankenschleife stürzen – und ein anderer Mensch bleibt völlig gelassen. Sei es eine medizinische Diagnose, ein finanzieller Engpass, ein Konflikt mit dem Partner oder der Partnerin: es kommt weniger auf das Szenario als solches an, als auf unsere Identifikation damit.
Die Fähigkeit, belastenden Situationen mit Gelassenheit zu begegnen und Herausforderungen durchzustehen wird als Resilienz bezeichnet. Genau wie unsere Muskelkraft können wir sie trainieren und unsere Kapazität der Gelassenheit ausweiten. Das tun wir, indem wir uns immer wieder positiv ausrichten – ohne Gefühle oder Empfindungen zu verdrängen, sondern sie einfach als Energien wahrzunehmen und sie durch uns durchfließen zu lassen. So lösen sich auch negative Gedankenmuster auf. Wir lernen, eine stressige Situation nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sondern als Herausforderung, als Chance für Wachstum.
All das kultivieren wir im Yoga: Wir weiten unseren Blick und lernen, uns selbst nicht so ernst zu nehmen. Wir besinnen uns auf unsere innere Kraft. Und schließlich verinnerlichen wir, dass es jenseits von allen „Stressoren“ im Außen und auch in unserem Geist einen Stillpunkt gibt, auf den wir uns immer wieder zurückbesinnen können.
Yoga für Fitnessbewusste
„Yoga ist doch nur herumsitzen und meditieren.“
Das höre ich als Yogalehrer sehr oft von Menschen, die noch nie im richtigen Kontakt mit Yoga waren. Und auch ich dachte vor einigen Jahren ähnlich über das Praktizieren von Yoga.
Bevor ich 2018 meine Ausbildung zum Yogalehrer in Indien absolvierte, hatte ich mit Yoga nicht sehr viel am Hut. Mein Alltag bestand aus sehr viel Arbeit und vier bis fünf Besuche pro Woche im Fitnessstudio. Immerhin möchte man als Anfang-Zwanzigjähriger ja Muskeln aufbauen und gut aussehen. Was ich, wie so viele andere, dabei natürlich völlig vernachlässigt hatte, war das Dehnen meiner Muskulatur. Meine Zehen konnte ich als ehemaliger Fußballspieler sowieso das wahrscheinlich letzte Mal mit dreizehn berühren, daher war es für mich keine Neuigkeit, steif und unbeweglich zu sein. Was man nicht kennt, das vermisst man auch nicht.
Als ich mich auf meiner Weltreise in Thailand beim Thaiboxen verletzte und nicht weiter trainieren konnte, stolperte ich über das Angebot „Yoga für Thaiboxer.“ Schnell merkte ich, dass es ein Irrglaube war, dass Yoga „nur etwas für Frauen“ sei und man dort nur „herumsitzen“ würde.
Wir arbeiteten an unserer Balance, verbesserten unsere Beweglichkeit in der Hüfte (für unsere High Kicks) und bekamen zahlreiche Tipps für mehr Konzentration im Sport. Die Dehnübungen kombiniert mit tiefer Atmung halfen mir, mehr im Moment anzukommen. Diese Yoga-Übungen machten mich zu einem besseren Sportler. Ich war begeistert.
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Heute, sechs Jahre später, kombiniere ich noch immer Krafttraining mit meiner Yogapraxis. Yoga ist Teil meiner täglichen Morgenroutine, gemeinsam mit einem Sprung ins Eisbad, einem Spaziergang mit meinen Hunden sowie dem täglichen Lesen von Yoga-Büchern.
Ich liebe es morgens meinen noch steifen Körper mit langsamen Bewegungen aufzuwecken und mich so für einen guten Tag vorzubereiten. Atemübungen und Meditation dürfen da natürlich nicht fehlen.
Anfangs war Yoga für mich nur ein Workout gewesen. Ich wollte schnell beweglicher werden und arbeitete an besonderen Skills wie dem Handstand. Mittlerweile sehe ich das bewegte Dehnen in Meditation als idealen Zusatz zu dem Training mit Gewichten. Yoga hilft mir, trotz des Krafttrainings beweglich zu bleiben. Und vor allem immer wieder beim Sport und auch im Alltag konzentriert zu bleiben und in den Moment zurückzukehren.
Ganz egal, ob du Yoga praktizierst, um deinen Körper (und Geist) zu trainieren, oder als Ausgleich zu anderen Sportarten machst, du wirst auf jeden Fall stark davon profitieren. Yogastile wie beispielsweise Vinyasa Yoga oder ein paar Runden vom Sonnengruß eignen sich ideal als Warm-Up vor dem Sport. Ruhigere Stile und tiefere Dehnungen wie beispielsweise Yin Yoga sind ein schöner Ausgleich nach dem Sport, um den Muskelkater zu reduzieren und die Regeneration zu fördern. Du möchtest durch Yoga fitter werden? Dann entscheide dich für kraftvolle Yogaeinheiten (gerne mit mir hier auf Gaia!)
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Körperlich herausfordernde Yogaeinheiten können dir mit Sicherheit dabei helfen, mehr Kraft aufzubauen. Damit ein Muskel wachsen kann, braucht er neue Reize. Es empfiehlt sich also, in deine Yogapraxis Kraftübungen wie Liegestütze oder Kniebeugen einzubauen. Dafür brauchst du auch keine teure Mitgliedschaft im Fitnessstudio und das Schönste daran – du kannst sogar in der Natur trainieren und deine Yogaroutine durchführen.
Abschließend möchte ich dir noch einen Tipp geben, falls du dir Zeit im Fitnessstudio sparen möchtest und gemeinsam mit Yoga fit werden willst.
Um deinen Bizeps sowie gezielte Bereiche deiner Rückenmuskulatur zu trainieren, braucht es eine Form der Bewegung, die leider bei allen Yoga Asanas fehlt. Und zwar die „Pull-Bewegung“, also das vertikale sowie horizontale Ziehen. Daher empfehle ich dir, zusätzlich zu deiner Yogaroutine auch immer wieder Klimmzüge zu machen. Häng dir einfach zu Hause Gym Rings an die Decke oder klemm eine Klimmzugstange in den Türrahmen.
Falls du dir jetzt denkst „Ach Marcel, ich kann doch keine Klimmzüge!“, dann sage ich nur „noch nicht“. Deine Muskulatur arbeitet nicht nur beim Hochziehen, sondern auch beim langsamen Herunterlassen. Nimm dir gerne einen Stuhl zur Hilfe, stell dich drauf, spring in die oberste Position von deinem Klimmzug und lass dich ganz langsam nach unten. Dein Bizeps wird dabei in die Länge gezogen (exzentrische Kontraktion) und du wirst mit jeder Wiederholung stärker.
Ich wünsche dir viel Spaß mit meinen kraftvollen Yogaeinheiten hier auf Gaia und freue mich, gemeinsam mit dir so richtig in’s Schwitzen zu kommen! Und denk immer daran – das Wichtigste ist, dass du Spaß bei deiner Bewegung hast!
Alles Liebe
Marcel